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Druckgaskesselwagen in 1:1 und 1:87

Hallo in die Runde,

bei DSO wurde kürzlich kontrovers über die neuen Druckgaskesselwagen von Rivarossi diskutiert (oben ein Foto des Vorbilds: ein der VTG France gehörender, aber in Deutschland eingestellter Wagen) und obwohl ich diesmal völlig unbeteiligt bin, möchte ich mich doch mit einigen grundsätzlichen Anmerkungen zu Wort melden.

Generell sollten wir und über jede gelungene Wiedergabe eines Chemie- oder Druckgaskesselwagens freuen, denn sie wurden in so geringen Stückzahlen gebaut, dass deren Nachbildung eigentlich kaum sinnvoll erscheint. Da ich den Wagen nicht selbst in Händen halte, vermag ich die bei DSO angesprochenen technischen Mängel (wie z.B. schleifende Radsätze) des Modells nicht zu beurteilen. Auch grundsätzlich falsche Anschriften wären ärgerlich.

Details und Varianten

Aber: Ich halte es für legitim, wenn Kesselwagen mit Beschriftungsvarianten produziert werden, die kein konkretes Vorbild haben, solange sie plausibel sind. Dazu gehören nach meiner Auffassung u.a. Anschriften von Einstellern, die diese Wagen nicht besessen haben, solange das Ladegut zur Bauart des Kesselwagens passt. Auch kleine Abweichungen gegenüber der Form des Vorbilds sind meines Erachtens bei Wagen, die in nur so geringen Stückzahlen gebaut wurden, unumgänglich. Dazu gehören Abweichungen in der Ausführung von Bühnengeländern, Domanordnungen, Bremsumstellern etc. Sollten alle Modellvarianten in jeder Beziehung korrekte Nachbildung mit allen speziellen Details des Vorbilds und den dafür erforderlichen Änderungen der Formen sein, wären sie „unbezahlbar“.

Hier sollten wir uns auch vergegenwärtigen, dass nur ein Bruchteil der tatsächlich gebauten Wagen bildlich dokumentiert ist: Zwar habe ich vermutlich Zugriff auf eines der größten Archive an Kesselwagenfotos, aber ich habe auch „nur“ ca. 4.500 Fotos von zweiachsigen Kesselwagen für brennbare Flüssigkeiten und rund 5.000 Fotos von zweichsigen Chemie- und Druckgaskesselwagen aus dem Zeitraum von etwa 1900 bis 2010 auf dem Rechner. Übrigens ist knapp ¼ dieser 5.000 Chemie- und Druckgaskesselwagen-Bilder ist in Güterwagen 9.1 – Chemikesselwagen Länderbahn und DRG, Güterwagen Band 9.2 – Chemiekesselwagen DB, DR und DB AG und Modell&Vorbild 1/2022 – Chemiekesselwagen veröffentlich.

Vorbildwahl

Hier scheiden sich nun die Geister. Unbestritten ist, dass in H0 der Trend inzwischen vielfach zu jüngeren Epochen geht. Das Interesse an den Epochen I und II ist in Bezug auf den Gesamtumsatz stark rückläufig. Für die Epoche III ist das Bild uneinheitlich. Epoche IV und insbesondere Epoche VI gewinnen (anders als Epoche V) immer mehr an Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, wenn Modellbahnhersteller auf moderne Fahrzeuge setzen. Allerdings bin ich der Meinung, dass man bei Rivarossi bei der Auswahl des Vorbilds für die neuen Druckgaskesselwagen nicht unbedingt ein „glückliches Händchen“ hatte (sofern man sich darüber überhaupt Gedanken gemacht hat). Anstelle eines Vorbilds, das nach meinem Kenntnisstand erst nach 2000 gebaut wurde – möglicherweise wurden auch nur die Tanks auf neue Untergestelle mit mehr als 6,00 m Achsstand gesetzt –, hätte man genauso gut einen Druckgaskesselwagen nachbilden können, der bereits in den 70er- oder 80er-Jahren entstanden ist. Nachfolgend einige Beispiele:

Nur 35 m³ Fassungsvermögen hatte der 1984 fotografierte 731 7 091 [P]. der VTG für Äthylenoxid
Nur 35 m³ Fassungsvermögen hatte der 1984 fotografierte 731 7 091 [P] der VTG für Äthylenoxid.
Ebenfalls nur 35 m³ Inhalt hatte der 1970 von Graaf für die VTG gebaute 072 3 219 [P] für Methylchlorid.
Ebenfalls nur 35 m³ Inhalt hatte der 1970 von Graaf für die VTG gebaute 072 3 219 [P] für Methylchlorid.
Der 072 3 135 [P] der VTG, aufgenommen Anfang der 70er-Jahre im Rbf Untertürkheim, war 1961 von Kaminski zum Transport von Propan und Butan gebaut worden. Sein Kessel fasste 45 m³.
Den 072 3 135 [P] der VTG, aufgenommen Anfang der 70er-Jahre im Rbf Untertürkheim, hatte Kaminski 1961 zum Transport von Propan und Butan gebaut. Sein Kessel fasste 45 m³.
Am 14.4.70 lieferte Kaminski den 50-m³-Propanwagen 072 3 203 [P] an die VTG, 1980 wurde er zum 741 5 093 [P]. Die sechs Wagen dieser Lieferserie hatten 6,00 m Achsstand
Am 14.4.70 lieferte Kaminski den 50-m³-Propanwagen 072 3 203 [P] an die VTG, 1980 wurde er zum 741 5 093 [P]. Die sechs Wagen dieser Lieferserie hatten 6,00 m Achsstand.
Der Mitte der 60er-Jahre gebaute Propanwagen 072 3 039 [P] der VTG stand im März 1979 im Rbf Untertürkheim.
Der 1963 von SEAG gebaute Propanwagen 072 3 039 [P] der VTG stand im März 1979 im Rbf Untertürkheim.
Der in den 60er-Jahren gebaute 50-m³-Propanwagen 741 5 002 [P] der VTG, aufgenommen im Oktober 1988 in Neuss
Hingegen wurde der 50-m³-Propanwagen 741 5 002 [P] der VTG, aufgenommen im Oktober 1988 in Neuss, 1964 / 1966 von LHB gebaut und hatte nachträglich eine Sonnenschutzdach bekommen.
Selbst die Wagen aus den 60er-Jahren mit den typischen Ausschnitten im Langträger waren z.T. nachweislich mindestens bis 2006 im Einsatz, die jüngeren z.T. noch länger.

Und die meisten der hier gezeigten Untergestelle könnten auch mit anderen Kesseln versehen werden.

Grüße aus Hamburg
Stefan Carstens

 

Ergänzung vom 26.4.2024

Holger Kaufmann reagierte prompt auf diesen Beitrag. Dank seiner Informationen, wissen wir nun, dass zumindestens ein VTG-Wagen mit den markanten Langträgern bis 2012 laufende Fristen für die Behälter hatte: der 7415 023. Er stammte aus der ersten 1963 von SEAG gebauten Lieferserie.

Zgkks 7415 023 [P] VTG, fotografirt im Februar 2011
Zgkks 7415 023 [P] VTG, fotografiert im Februar 2011.